Macht Hass krank?
Unser soziales Klima ist derzeit an Rohheit kaum zu übertreffen. Viele Menschen sind dadurch verunsichert, fühlen sich hilflos und haben Angst. Sie igeln sich zu Hause ein, leben isoliert, führen ein Inseldasein. Neben ihren Türen, schließen sie auch ihre Augen. Einige begegnen dieser Rauheit durch radikale Gesinnungen, seien sie nun politischer, diätetischer, oder sportlicher Natur. Sie nutzen zum Beispiel soziale Medien, um in vermeintlich anonymem Rahmen Hass-Postings zu verbreiten und zu Gewalt aufzurufen.
Rücksichtslosigkeit und Egoismus sind auf dem Vormarsch.
Respekt, Altruismus und Empathie, Fremdwörter!?
Tatsächlich sehnen sich aber auch immer mehr Menschen nach sozialer Nähe, Zusammenhalt, Wärme und Geborgenheit. Wir sind soziale Wesen und Beziehungen sind nun einmal unser „Lebenselixier“!
Stabile soziale Netzwerke (Familie, Freunde, Arbeitskollegen usw.) lassen uns nicht nur mit den Widrigkeiten des Alltags besser zurechtkommen, sie erhöhen auch unsere Lebensqualität und wirken lebensverlängernd.
In Beziehung zu treten, bedeutet immer, sich auf jemanden einzulassen. Das heißt aber auch, sich permanent einem „Wechselbad der Gefühle“ auszusetzen. Liebe, Freude, Traurigkeit, Angst, Wut – all das sind unsere normalen Grundemotionen. Das wir Menschen Wut empfinden, liegt ebenso in unserer Natur, so wie jemanden zu lieben, oder um jemanden zu trauern. Trotzdem ist Wut in unserer Gesellschaft verpönt.
Warum ist das so?
Zum einen, weil Wut, bei dem der sie empfindet, vor allem aber bei demjenigen, der sie abbekommt ein „unangenehmes Gefühl“ verursacht– Herzschlag und Atmung werden beschleunigt, die Muskulatur ist angespannt, die Gesichtszüge verhärtet; unser Organismus ist auf Kampf programmiert.
Zum anderen, weil unsere Gesellschaft Wut gleichsetzt mit Aggression. Ein wütender Mensch wird demnach als aggressiv angesehen, was er aber nicht ist.
Wut ist aber eine wichtige Ressource. Indem ich meinen Ärger kundtue, vermittle ich meinem Gegenüber, dass er meine persönlichen Grenzen überschritten hat. Ich sage damit:“ Halt! Stopp! Bis hierher und nicht weiter!“.
Wie kann das sein, dass Menschen von sich behaupten, NIE wütend zu sein?
Bereits im Säuglingsalter lernt man, oder besser hat zu lernen, dass es Zuwendung, Wärme und Geborgenheit nur dann gibt, wenn man den Vorstellungen seiner Eltern entspricht. Das heißt, man hat bestimmte wünschenswerte Verhaltensweisen an den Tag zu legen und andere sogenannte „unerwünschte“ möglichst sein zu lassen.
„Dieses Gefühl, nicht um seiner selbst geliebt zu werden, erzeugt Wut, die das Kind aber natürlich nicht bewusst gegen seine Eltern richtet, denn der kleine Mensch möchte seine Eltern noch nicht gegen sich aufbringen“, erklärt Prof. Arno Gruen (1923-2015, Psychoanalytiker).
Laut Gruen resultiert „Hass immer aus Selbsthass“ – und Selbsthass entwickelt sich aus der nicht gelebten Wut, wenn das „eigene Selbst von den Eltern nicht erkannt bzw. akzeptiert wird.“
Gruen, der sich zeit seines Lebens mit Themen, wie Hass und Gewalt beschäftigt hat, vertritt die Meinung, dass vor allem die Lieblosigkeit, mit der viele Menschen aufwachsen, aber auch zu traditionelle Weltanschauungen und Wertesysteme, eine spätere Hassbereitschaft durchaus begünstigen. Wenn man also von Geburt an immer wieder erfahren muss, dass man nur dann Zuwendung bekommt, wenn man sich angepasst, hat man als Kind nur 2 Möglichkeiten:
Entweder man richtet die ganze Wut gegen sich selbst und entwickelt schließlich später im Erwachsenenalter autoaggressive bzw. selbstdestruktive Verhaltensweisen, oder man macht andere zum Objekt – richtet seine Wut gegen Fremde, alles Neue und gegen Schwächere.
Das hilft zumindest für kurze Zeit über das eigene „kleine Selbst“ hinweg!
In einer Studie der Brown University (Ph.D. Raymond Niaura,) untersuchte man die Auswirkungen einer feindseligen Haltung gegenüber Mitmenschen auf die Gesundheit. 774 ältere Männer wurden über einen Zeitraum von 3 Jahren beobachtet und Daten zu Gewicht, Blutfetten, Blutdruck, Alkohol und Zigarettenkonsum der Probanden gesammelt.
Das Ergebnis zeigte, dass Feindseligkeit sogar mit einem höheren Herzinfarktrisiko einhergeht, als Fettleibigkeit, Rauchen oder erhöhte Blutfettwerte.
Auch Dr. Adelheid Kastner( Psychiaterin und Neurologin; war mit dem Fall „Josef Fritzl“ betraut) spricht in ihrem „Plädoyer für die Wut“ darüber, wie ungesund es ist, Wut permanent zu unterdrücken – nicht nur Depressionen, sondern auch die Entwicklung psychosomatischer Störungen, wie Kopfschmerzen, Migräne, Verdauungsprobleme (Reizdarm), Magenbeschwerden, hoher Blutdruck und Herzbeschwerden werden dadurch begünstigt.
Im allgemeinen Sprachgebrauch verwenden wir selbst ständig Formulierungen, wie: das Ganze „liegt mir schwer im Magen“, da steigt mir „die Galle hoch“, es ist „zum aus der Haut fahren“, oder „ich könnte vor Wut platzen“, ohne wirklich zu wissen, dass sie bereits treffend beschreiben, was passiert, wenn wir unsere Gefühle nicht leben – wir projizieren sie auf die körperliche Ebene und „produzieren“ ein Symptom.
Die Frage, ob Hass krank macht, kann also mit einem eindeutigen JA beantwortet werden!
Wie aber verhindert man die Entstehung von Hass?
Um in Arno Gruens Worten zu sprechen: „Liebe und Mitgefühl vom ersten Atemzug an, sind die Säulen der Menschlichkeit! Es ist Terror, wenn ein Säugling stundenlang schreit und trotzdem weggesperrt wird, nur damit seine Eltern ihre Ruhe haben. Weil ein solcher Schmerz auf Dauer unerträglich ist, nabelt sich ein Mensch mit der Zeit von all seinen Gefühlen ab.“
Respekt und Würde ist das Grundrecht eines JEDEN Menschen!
Wie findet man einen Weg aus dem Hass?
Emanzipieren Sie sich vom Objekt zum Subjekt!
Lernen Sie ihre Gefühle wahrzunehmen und zu artikulieren!
Beginnen Sie Dinge zu hinterfragen!
Tun Sie etwas für andere!
Geben Sie Vorurteilen keine Chance – machen Sie sich Ihr eigenes Bild!
Lassen Sie sich nicht länger zu einem „Funktionsträger“ degradieren, der seinen Wert verliert, wenn er seine Funktion in der Gesellschaft nicht mehr erfüllen kann.
In seinem Buch „ Vom Wahnsinn der Normalität“ schreibt Gruen: „Während jene als verrückt gelten, die den Verlust der menschlichen Werte nicht mehr ertragen, wird denen Normalität bescheinigt, die sich von ihren menschlichen Wurzeln getrennt haben.“