Einsamer Wolf, oder innerer Emigrant?
Nehmen wir an, Sie befinden sich in Ihrem wohlverdienten Urlaub. Das Hotel in dem Sie einquartiert sind, ist nicht ganz so wie erwartet, also nicht so perfekt, aber die Aussicht ist toll, direkt am Meer gelegen, das Wetter spielt mit und das Personal ist überwiegend freundlich.
Lassen Sie sich deshalb Ihren Urlaub vermiesen?
Nein, Sie doch nicht – das tut doch Ihrer allgemeinen Zufriedenheit keinen Abbruch!
Oder doch?
In der Arbeitswelt verhält es sich oft ähnlich.
Solange der Job ein gesichertes Einkommen ermöglicht und die Vorgesetzten halbwegs okay sind, sind wir schon zufrieden!
Doch, der seit 2001 vom Meinungsforschungsinstitut Gallup jährlich in erhobene „Engagement-Index“, zeigt ein etwas anderes Bild.
Worum geht’s bei dieser Erhebung?
Die ursprüngliche Idee dieser Umfrage war herauszufinden, welchen Stellenwert „der Mensch“ im Unternehmen hat und in wie fern sich die emotionale Bindung des Mitarbeiters an das Unternehmen, auf Leistung und Wettbewerbsfähigkeit auswirkt.
Die Ergebnisse für 2015 in Deutschland sprechen Bände – demnach sind NUR 16% der Arbeitnehmer voll bei der Sache, während die überwiegende Mehrheit (68%) lediglich Dienst nach Vorschrift macht. Die verbleibenden 16% rangieren unter „ferner liefen“, denn sie haben bereits innerlich gekündigt.
Kurz zusammengefasst, heißt das, das nur einer von sechs Mitarbeitern im Unternehmen, wirklich engagiert und motiviert, seiner Tätigkeit nachgeht.
Was bedeutet eigentlich geringe emotionale Bindung an das Unternehmen?
Entsprechende Mitarbeiter zeigen:
- wenig Eigeninitiative
- geringe Leistungsbereitschaft
- geringes Verantwortungsbewusstsein
- häufige Krankenstände (im Schnitt fehlen emotional ungebundene MitarbeiterInnen fünf Tage mehr/ Jahr; des Weiteren zeigt sich unter emotional ungebundenen eine hohe Burnout Rate!)
- hohe Fluktuation
In Bezug auf das Fluktuationsverhalten, können vier Mitarbeiter-Typen unterschieden werden:
Hohes Commitment(1) | geringes Commitment | |
Hohes Involvement (2) | Star * | einsamer Wolf ** |
Geringes Involvement | Unternehmensbürger *** | Innerer Emigrant **** |
(1) Identifikation der MitarbeiterInnen in und mit der Organisation
(2) Indentifikation der MitarbeiterInnen mit ihrer Arbeit
* Sein ganzes Bemühen dient der Organisation und den Kollegen; er fehlt nur, wenn er (wirklich) krank ist
** Er ist stark involviert, aber von der Organisation unabhängig; d.h. bietet sich ihm eine bessere Aufgabe, geht er
*** Er will es allen Recht machen; verhält sich rollenkonform
**** Er hat bereits innerlich gekündigt; er bleibt nur noch aus Berechnung
(Quelle: angelehnt an Blau und Boal ,1987: Fluktuationsverhalten, Olfert, Klaus: Personalwirtschaft, 13. Auflage, Seite 290)
Ursachen für geringe emotionale Bindung, gibt es viele, sowohl von Seiten der Führungskraft, als auch von Seiten des Mitarbeiters:
- Führungsschwächen wie: autoritäres Verhalten, Degradierung des Mitarbeiters zum Objekt, fehlende Wertschätzung, zu wenig Lob und Anerkennung (ganz nach dem Motto: „ Nicht geschimpft, ist genug gelobt!“), mangelhafte Information, das Nicht-Einbeziehen der Mitarbeiter in Entscheidungen, keine klare Aufgabenverteilung, keine klare Zielsetzung usw.
- nicht erfüllte berufliche Erwartungen
- „erstarren“ in Routine,
- Konflikte mit Vorgesetzten, bzw. Kollegen (Mobbing)
- Fehleinschätzung der eigenen Person bzw. der Leistungsfähigkeit (Selbstbild vs. Fremdbild!)
- Übergangszeit bis zur Pensionierung, um nur einige zu nennen.
Also, einsamer Wolf, oder schon innerer Emigrant?
Innere Kündigung vollzieht sich klarerweise nicht von heute auf morgen. Es handelt sich meist um ein unbewusstes, seit längerem bestehendes Verhaltensmuster, gekennzeichnet durch eine ablehnende, zeitweise sogar resignativ-depressive Grundhaltung in Bezug auf die Arbeitssituation.
Der/die entsprechende MitarbeiterIn fühlt sich schon seit längerem nicht wertgeschätzt, seine/ihre Hoffnungen und Wünsche an den Arbeitgeber, an das Unternehmen haben sich nicht erfüllt, wodurch es zu einer massiven Störung des Selbstwertempfindens kommt. Die Frustrations-Toleranz sinkt, Konflikte werden zunehmend gemieden, Vorschläge bleiben aus, Anordnungen werden „ohne Wenn und Aber“ durchgeführt, Demotivation macht sich breit. Scheinbar loyal avancieren sie zu „JA-Sagern.“ Sie werden gerne als bequeme Betriebsangehörige beschrieben, denn der „stille Protest“ und die zunehmende Distanzierung zum Unternehmen bleiben unbemerkt.
Es kommt zum Bruch des „psychologischen Arbeitsvertrages“.
Psychologischer Arbeitsvertrag, sagt Ihnen nichts?
Es handelt sich hierbei um die gegenseitigen, unausgesprochenen Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber (Schein 1980). Sozusagen eine „nicht sichtbare“ Ergänzung zum eigentlichen formalen Arbeitsvertrag. MitarbeiterInnen erwarten z.B.: Unterstützung, Förderung, Balance zwischen Über-, und Unterforderung, Gerechtigkeit und respektvoller Umgang, , Schutz/Fürsorge.
Von Seiten des Unternehmens sind es Erwartungen wie Loyalität, die Bereitschaft sich hierarchischen Strukturen unterzuordnen und Verfügbarkeit. Der Vertragsinhalt ändert sich im Laufe des Berufslebens und zwar auf beiden Seiten.
„Wenn sich Mitarbeiter zum Mittel reduziert sehen, reduzieren sie ihrerseits die Arbeit zum Mittel der Einkommenserzielung und sehen sich letztendlich nur noch sich selbst verpflichtet“, sagt Werner R. Müller (Professor für Management, Basel).
Der Mensch wird zunehmend zum Funktionsträger – kann er seine Funktion nicht mehr erfüllen, ist er für die Gesellschaft wertlos.
Jeder Mensch verdient es respektvoll und wertschätzend behandelt zu werden, denn für ein gutes Zusammenspiel, ein funktionierendes Miteinander, ist jedes noch so kleine Zahnrädchen essentiell.
Also Führungskräfte aufgepasst!
Welche Maßnahmen lassen sich zur Steigerung der Mitarbeiterbindung setzen?
Eine Möglichkeit, mitunter sogar die beste Gelegenheit, Wertschätzung kundzutun, Lob auszusprechen, aber auch konstruktive Kritik zu üben, eventuelle Unklarheiten oder Besorgnisse auszuräumen, ist das Mitarbeiter,- oder Feedbackgespräch.
Vielfach als lästige Pflicht betrachtet, bietet es aber einen idealen Rahmen, gemeinsam über die letzten Monate Bilanz zu ziehen, Selbstbild mit Fremdbild abzugleichen, neue Ziele und Aufgaben zu definieren, uvm.
Vielmehr Aufmerksamkeit müsste der sog. Einarbeitungsphase eines neuen Mitarbeiters gewidmet werden, denn bereits in diesen ersten Monaten entscheidet sich, ob der/die entsprechende MitarbeiterIn eine Identifikation mit dem Unternehmen entwickeln wird, oder eben nicht. Das Gefühl in dieser ersten Zeit oftmals alleine da zu stehen, sich nicht entsprechend „eingebettet“ bzw. angeleitet zu fühlen, wird definitiv NICHT zu einer engen emotionalen Bindung führen.
Aufholbedarf gibt es auch hinsichtlich der Innerbetrieblichen Gesundheitsförderung. Hierbei handelt es sich sowohl um präventive, als auch kurative Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens am Arbeitsplatz. Belastungen sollen reduziert und Ressourcen aufgebaut werden. Es gilt Angebote und Anreize zu schaffen, die Teil des Arbeitsalltags und somit der Unternehmenskultur werden.
Die Bedeutung der Führungsqualität für die Mitarbeiterbindung ist nach wie vor unumstritten hoch.
Mc Kinsey (2001) hat in einer breit angelegten Untersuchung („War for Talent“, Nr. 2) festgestellt, dass „schwache“ Führungskräfte bei ihren Mitarbeitern in hohem Maße Abwanderungs- und Wechselüberlegungen initiieren. Die Anforderungen an eine Führungsperson haben sich gewandelt – es reicht nicht mehr nur, die Unternehmensvision zu repräsentieren, nein, zusätzlich hat er/sie Vorbildfunktion, ist Erbe „elterlicher“ Erfahrungen (positiv wie negativ), soll Halt geben und über „Containment-Fähigkeiten“ („Containment“, Psychoanalytiker Wilfred R. Bion, 1897-1981) verfügen.
Das heißt, die Führungskraft hat die Aufgabe Druck, Anforderungen und Informationen von außen so zu filtern, dass der Mitarbeiter weitgehend unbelastet seiner eigentlichen Arbeit nachgehen kann; umgekehrt besteht aber auch eine entsprechende Filterfunktion nach außen, sprich nach oben.
„Moderne Mitarbeiterführung“, bedeutet demnach Kreativität, und Innovation zu fördern, Authentizität und Individualität willkommen zu heißen, Eigeninitiative zu begrüßen und Selbstverantwortung zu verlangen. Ein Führungsstil, der geprägt von emotionaler und sozialer Intelligenz, Fehler, als Chance zu Lernen begreift und Veränderung gut heißt.
Es gilt ein angstfreies und unterstützendes Klima zu schaffen, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht.
Gutes Gelingen!